Die afghanische Journalistin Shakeela Ebrahimkhil wirft in ihrem Text einen Blick auf die Situation afghanischer Frauen in ihrem Herkunftsland, auf der Flucht und in Europa.
Unter dem Taliban-Regime waren den afghanischen Frauen ihre Menschenrechte und ihr Würde abgesprochen worden. Als die internationale Gemeinschaft unter der Führung der USA mit dem Versprechen auf Demokratie, Schutz der Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit nach Afghanistan kam, war daher die Hoffnung groß, dass sich die Situation der Frauen ändern würde und sie endlich die gleichen Rechte wie Männer bekämen.
Internationale Organisationen, insbesondere die Vereinten Nationen, die Europäische Union und die Entwicklungsagentur der USA, sagten ihre Unterstützung zu, um die Lage der afghanischen Frauen zu verbessern. Die internationale Gemeinschaft machte ihre Unterstützung der afghanischen Regierung davon abhängig, dass diese die Rechte der Frauen und ihre stärkere Beteiligung in Afghanistan gewährleistete.
Die Vereinten Nationen koordinierten diese Hilfen für Frauen und allmählich zeichnete sich eine Verbesserung der Situation ab: Frauen erhielten mehr Zugang zu Bildung und beteiligten sich vermehrt an der Gestaltung von Politik und Gesellschaft. Die unabhängige Menschenrechtskommission Afghanistan wurde gegründet, und die Gleichberechtigung der Frau wurde in der Verfassung Afghanistans festgeschrieben.
Die Türen von Schulen und Universitäten öffneten sich für Mädchen, Frauen nahmen an Wahlen teil, und fünfundzwanzig Prozent der Sitze des afghanischen Parlaments wurden Frauen zugewiesen. Auch in anderen Bereichen der Politik, der Gesellschaft und der Wirtschaft wurden Frauen aktiv und Arbeits- und Bildungsmöglichkeiten für Frauen nahmen zu.
Doch als die internationale Gemeinschaft ihre militärische Präsenz in Afghanistan zurückschraubte und sich die Hilfen verringerten, erlahmte seitens der internationalen Gemeinschaft, insbesondere der USA, auch das Interesse und die Aufmerksamkeit für den Schutz der sozialen Gerechtigkeit, der Demokratie und der garantierten Beteiligung von Frauen an der Politik.
Auch die Regierung Afghanistans erfüllte ihre Verpflichtungen gegenüber Frauen nicht, denn die Gesetze und Vorschriften, die zur Sicherung der Frauenrechte eingeführt worden waren, standen lediglich auf dem Papier, wurden jedoch nicht angewandt. Die Erwartung, dass die internationale Gemeinschaft und die Regierung Afghanistans die Gleichstellung und die Menschenrechte von Frauen gewährleisten würden, erfüllte sich nicht.
Im Gegenteil – niemand arbeitete ernsthaft an der Erfüllung dieser Verpflichtungen. Es zeigte sich beispielsweise, dass Frauen nur eine symbolische Rolle in der Struktur der afghanischen Regierung innehatten. Inzwischen hat sich, insbesondere aufgrund von zunehmenden Sicherheitsproblemen, Armut, langlebigen Traditionen sozialer Unterdrückung und der Bedrohungen durch die Taliban, den IS und andere extremistische Gruppen, die Lage der afghanischen Frauen wieder verschlechtert und ihre Arbeits- und Bildungsmöglichkeiten haben sich verringert.
Fortsetzung von Krieg und Unsicherheit
Der fortdauernde Krieg und die insgesamt unsichere Lage hat für Frauen das Leben in der Region stark erschwert. In den unsicheren Teilen des Landes können derzeit Mädchen, wie in der Vergangenheit, keine Schulen besuchen; viele Familien erlauben ihren Töchtern nicht, zur Schule zu gehen, weil es zu wenig weibliche Lehrkräfte gibt. Heute, im einundzwanzigsten Jahrhundert, können sechzig Prozent der afghanischen Frauen und Mädchen weder lesen noch schreiben.
Viele Frauen, die in mehreren Provinzen für Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen gearbeitet hatten, mussten ihre Arbeit aufgrund von Sicherheitsproblemen einstellen. Darüber hinaus töteten und erschossen die Taliban mehrere Frauen wegen des bloßen Verdachts, mit der Regierung zusammengearbeitet zu haben.
Gewalt gegen Frauen in der Familie und in der Öffentlichkeit
Traditionen sozialer Unterdrückung gibt es heute überall in Afghanistan; immer noch leiden rund drei von vier Frauen unter unterschiedlichen Formen von Gewalt, nicht nur in der Familie, sondern auch in der Gesellschaft – am Arbeitsplatz, an Ausbildungsorten und sogar auf offener Straße. Viele Familien bevorzugen klar die Geburt eines Jungen und sind unglücklich über die Geburt eines Mädchens.
Kinder und Frauen werden zwangsverheiratet oder an ältere Männer verkauft, manchmal werden sie getauscht, gegen Vieh oder gegen die Lösung eines Konfliktes. Frauen und junge Mädchen werden vergewaltigt und Gewalt gegen Frauen wird von manchen im Namen der Religion gerechtfertigt. Polygamie stellt eine weitere Herausforderung für Frauen dar. Ein Mann hat beispielsweise das Recht, mit bis zu vier Frauen gleichzeitig verheiratet zu sein, und diese Frauen besitzen keinerlei Rechte.
Viele Fälle von Gewalt gegen Frauen werden mittels informeller Gerichte oder in Stammesversammlungen (Jirgas) entschieden. Die Entscheidungen dieser Stammesversammlungen sind unfair und ungerecht, vor aller Augen werden Frauen gesteinigt oder ausgepeitscht. Vor drei Jahren wurde in der Provinz Ghor eine Frau Namens Rakhshana gesteinigt, obwohl sie kein Verbrechen begangen hatte.
Nicht wenigen Frauen werden durch ihre Ehemänner Ohren und Nasen abgeschnitten, zurzeit suchen viele der betroffenen Frauen in den Schutzhäusern von Kabul Zuflucht. In vielen Provinzen sind die Täter dieser Gewaltakte mächtige Männer, Kriegsherren, Regierungsbeamte oder Parlamentsabgeordnete, und die Regierung sieht sich nicht in der Lage, sie zu verhaften und zu bestrafen.
Basierend auf neuen Statistiken der unabhängigen afghanischen Menschenrechtskommission wurden während der ersten zehn Monate des Jahres 2017 3800 Fälle von Gewalt gegen Frauen registriert; 19 der betroffenen Frauen haben sich selbst verbrannt. Die Kultur der Straffreiheit wird als Hauptgrund für die Zunahme dieser Art von Gewalt angesehen.
Selbst im Herzen Afghanistans, in Kabul, sind Frauen und Mädchen nicht vor körperlicher Gewalt sicher. Als Beispiel hierfür sei der Mord an Farkhunda genannt. Dieses Mädchen wurde vor drei Jahren von Dutzenden Männern brutal getötet und verbrannt – nur wenige Kilometer entfernt vom afghanischen Präsidentenpalast und vor den Augen der Sicherheitskräfte.
Dieser Vorfall spiegelt die Tragweite der Tragödie wider, mit der afghanische Frauen konfrontiert sind. Zwar wurden mehrere Personen im Zusammenhang mit diesem Mord verhaftet, jedoch gingen sie letztendlich straffrei aus. Frauen und Mädchen sind selbst an ihrem Arbeitsplatz und an der Universität nicht sicher.
Sie werden auf dem Arbeitsmarkt und in Bildungseinrichtungen von Männern auf unterschiedliche Arten belästigt und aufgefordert, illegitime Dinge zu tun; es gibt keinerlei Gesetze zur Unterstützung von Frauen in diesen Bereichen.
Die Erfolge der afghanischen Frauen und deren mangelnde Anerkennung
Afghanische Frauen haben in den letzten Jahren bedeutende Erfolge in Afghanistan und über die Grenzen Afghanistans hinaus erzielen können, sie haben nationale und internationale Preise gewonnen und damit der Welt ein anderes Gesicht von Afghanistan gezeigt, als das von Krieg und Gewalt. Doch die Beteiligung von Frauen an der politischen Entscheidungsfindung ist immer noch verschwindend gering.
Trotz positiver Errungenschaften im Leben der afghanischen Frauen beschränken sich der Fortschritt und die Entwicklungsmöglichkeiten von Frauen in vielerlei Hinsicht auf Worte und Slogans. Zahllose Gesetze, Programme und Strategien wurden entwickelt, um die Stellung der afghanischen Frau zu stärken, doch deren Umsetzung war weniger erfolgreich. Immer wieder wurden diese Maßnahmen ignoriert.
Es ist offensichtlich, dass Frauenrechte in Afghanistan nur eine symbolische Rolle spielen, diese Doppelmoral und die frauenfeindlichen Einstellungen zeigen sich an folgendem Beispiel: der Präsident Afghanistans hat vor kurzem dem afghanischen Parlament zwölf Ministeramtskandidaten zur Aussprache des Vertrauens präsentiert; das Parlament hat daraufhin den elf männlichen Kandidaten das Vertrauen ausgesprochen, Nargis Nehan aber, die als einzige Frau als Ministerin für Bergbau und Erdöl vorgeschlagen war, wurde abgelehnt.
Dies zeigt, dass in allen drei Organen der afghanischen Regierung Frauenfeindlichkeit herrscht und nach wie vor politische Entscheidungen auf der Grundlage gefällt werden, die männliche Dominanzkultur zu erhalten. In all den Jahren konnte keine einzige Frau Mitglied des Obersten Gerichtshofs von Afghanistan werden, stets lehnte das Parlament die Mitwirkung von Frauen in dieser Institution ab; Frauen gelten in Afghanistan immer noch als Menschen zweiter Klasse.
Die allgemein unsichere Lage, das Versagen der afghanischen Regierung bei der Gewährleistung von Sicherheit für Frauen, die Einschränkungen und verschiedenen Arten von Diskriminierung sind Gründe dafür, dass Frauen nicht in der Lage sind, in Frieden in Afghanistan zu leben, und sich gezwungen sehen, allein oder mit der Familie in andere Länder zu gehen, insbesondere nach Europa, um dort Asyl zu beantragen.
Afghanische Frauen, die in Europa Asyl suchen, und der Albtraum der Flucht
Es ist nicht einfach für afghanische Frauen und Mädchen, nach Europa zu kommen. In der Regel sind sie viele Risiken eingegangen, um mit ihren Familien in europäische Länder zu gelangen. Viele der Frauen und jungen Mädchen haben auf dem Weg entweder ihr Leben oder ihre Kinder und Familien verloren, sie wurden eingesperrt und mussten niederträchtiges Verhalten und abscheuliche sexuelle Belästigungen von Grenzsoldaten und Schmugglern erdulden.
Zwar ist es auch für Männer nicht einfach, auf illegalem Wege zu reisen, doch für Frauen ist es noch einmal schwieriger. Aber trotz all dieser Gefahren und Probleme auf den Fluchtrouten haben afghanische Asylsuchende weniger Chancen auf Asyl als Asylsuchende aus anderen Ländern.
Afghanische Asylsuchende dürfen bis zu dem Zeitpunkt, an dem ihnen Asyl gewährt wird, keine Sprachkurse besuchen. Zwar steht ihnen eine Unterkunft zur Verfügung, sie werden finanziell versorgt und genießen Schutz, doch sehen sie sich mit mentalen und psychischen Problemen konfrontiert.
In den Lagern und an den Orten, wo Geflüchtete leben, finden sich viele Beispiele für diese Art von Problemen. Eine afghanische Flüchtlingsfrau in Hessen, die seit fast sieben Monaten in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht ist, sagt besorgt:
„In Afghanistan hatte ich viele Probleme in der Familie und durfte nicht draußen arbeiten. Mein Mann und ich wollten an einem Ort leben, an dem wir in Frieden und wir selbst sein konnten und wo wir in Sicherheit sind. Also sind wir Richtung Europa aufgebrochen, ohne zu wissen, dass wir mit unserem Leben spielten. Stundenlang waren wir auf gefährlichen Routen zu Fuß in Richtung Bulgarien unterwegs.
Leider wurden mein Mann und ich zusammen mit einigen Männern und Frauen von bulgarischen Grenzsoldaten festgenommen. Diese Grenzsoldaten folterten uns und brachten uns anschließend in ein Gefängnis, wo wir zusammen mit gefährlichen Gefangenen eingesperrt wurden.
Sie haben uns mehrere Tage lang nichts zu essen gegeben und uns so schlimm behandelt, dass ich es nicht aussprechen kann. Nachdem wir aus dem Gefängnis entlassen worden waren, sind wir nach Deutschland gelangt. Leider wurde unser Asylantrag abgelehnt und wir sollten nach Bulgarien zurückgeschickt werden. Es sind jetzt sieben Monate vergangen, seit ich in diesem Krankenhaus für geistige Gesundheit aufgenommen wurde, aber ich kann keinen geistigen Frieden finden.“
Afghanische Frauen in Europa und Gewalt in der Familie
Abgesehen von mentalen und psychischen Gesundheitsproblemen erleben afghanische Frauen und Mädchen in vielen europäischen Ländern, insbesondere in Deutschland sexuelle und auch häusliche Gewalt. Nach Quellen deutscher Medien wurden allein 2017 zwei afghanische Frauen in den Städten Frankfurt und Herzogenrath von ihren Ehemännern getötet.
Ein weiterer schwerer Fall von Gewalt ereignete sich in einem der Flüchtlingslager der Stadt Schwerin, wo im November 2017 eine afghanische Frau durch einen iranischen Mann vergewaltigt wurde. Gemäß der Aussage eines Verteidigers von Frauenrechten in Frankfurt leben einige afghanische Familien hier nach denselben traditionellen Vorstellungen wie in Afghanistan und erlauben ihren Frauen nicht einmal, an Sprachkursen teilzunehmen. Die Hilfsangebote vieler Organisationen und Vereinigungen, die Geflüchtete bei ihren Integrationsbemühungen unterstützen, laufen dann ins Leere.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Unsicherheit, Ungerechtigkeit, mangelnde Rechtsstaatlichkeit und fehlende Gleichberechtigung der Geschlechter die Hauptgründe dafür sind, dass viele afghanische Frauen in Europa Asyl beantragt haben. Niemand würde ohne die oben genannten Gründe derart viele Risiken eingehen, ohne dazu gezwungen zu sein, niemand würde seinen Geburtsort verlassen und in einem Land mit einer anderen Kultur und Sprache Asyl suchen.
Das Leben in Deutschland ist nicht einfach, es muss von Null aufgebaut werden und es braucht Zeit, sich der Gesellschaft anzupassen und die neue Sprache und Kultur zu lernen. Angesichts der Situation afghanischer Asylbewerberinnen ist klar, dass diese mehr als manche andere Unterstützung benötigen – von Organisationen, die die Menschenrechte verteidigen, sowie von der deutschen Regierung.
Im deutschen Grundgesetz heißt es, dass alle Menschen in diesem Land die gleichen Rechte haben und dass dieses Land demokratisch regiert wird. Aus diesem Grund erhoffen sich die afghanischen Frauen mehr von der Regierung dieses Landes. Gerade Frauen, die alleine sind oder allein die Verantwortung für ihre ganze Familie tragen, sind auf die Unterstützung der Bundesregierung und von Menschenrechtsorganisationen angewiesen. Geflüchtete Afghaninnen wünschen sich, dass ihre Fälle in Bezug auf die Situation in Afghanistan und die politischen und sozialen Probleme von Frauen in diesem Land überprüft werden.